Betriebsfestigkeitsanalysen im thyssenkrupp Automotive Systems Test Center
24 Stunden am Tag, sieben Tage pro Woche: Mit individuell konzipierten Prüfständen fährt das Test Center von thyssenkrupp Automotive Systems High-End-Betriebsfestigkeitsanalysen für anspruchsvolle Automotive-Kunden
Essen, Münchener Straße 100. Mitten im Herzen des Ruhrgebiets befindet sich das Test Center von thyssenkrupp Automotive Systems, ein Labor mit modernster Ausstattung im Bereich der Betriebsfestigkeitsprüfung von Fahrwerkskomponenten und -systemen. Hier wird die automobile Zukunft auf Herz und Nieren getestet. 24 Stunden am Tag, sieben Tage pro Woche – bis die Soll-Lebensdauer erreicht ist oder der Ausfall eines Bauteils zum vorzeiten Abbruch führt.
Bei Fahrzeugen können beim Überfahren von Schlaglöchern und Hindernissen Überlasten entstehen, die um den Faktor zwei bis drei über den normalen Betriebslasten liegen. Die hervorgerufenen Schädigungen können die Betriebsfestigkeit und damit die Lebensdauer von Komponenten und Systemen signifikant mindern. Noch bevor Automobile auf den Markt kommen, durchlaufen sie deshalb intensive Test-Prozesse, um die Betriebsfestigkeit der verbauten Teile zu überprüfen und Schwachstellen bereits im Vorfeld zu erkennen. Das geschieht mit realen Prototypen auf Teststrecken, in Simulationen am Rechner und auf Prüfständen in Laboren wie dem Test Center von thyssenkrupp in Essen.
Expertise in den Bereichen Automotive, Bahntechnik und Maschinenbau
Hier überprüfen 25 Mitarbeitende Haltbarkeit und Lebenserwartung von Systemen und Komponenten aus dem Automobilbau und weiteren Industriezweigen. Zu den Kunden gehören große Automobilhersteller und deren Zulieferer. Eine sehr enge Zusammenarbeit besteht vor allem mit den thyssenkrupp Schwestergesellschaften aus dem Fahrwerksgeschäft wie beispielsweise aus der Stoßdämpfer-, der Federungs- und Stabilisatoren- sowie der Lenkungssparte. „Betriebsfestigkeitsanalysen für die Automobilbranche sind unser Schwerpunkt“, bestätigt Dr.-Ing. Jan R. Kurzok, seit 2005 Leiter des Test Centers. „Allerdings haben wir auch eine große Expertise in anderen Industrien wie Bahntechnik oder Maschinenbau“.
Im Bereich der Bahntechnik werden aktuell beispielsweise Komponenten von gummigefederten Eisenbahn- und Straßenbahnrädern erprobt. Dr. Kurzok: „Wir simulieren Verschleiß und andere Ermüdungserscheinungen, um die Wirksamkeit von konstruktiven Produktoptimierungen zu validieren. Die im Test Center vorhandenen Anlagen ermöglichen jedoch auch die Erprobung größerer Eisenbahnkomponenten mit höheren Belastungen wie z.B. komplette Eisenbahnräder.“
Auch Kunden aus ganz anderen Disziplinen z.B. des Maschinenbaus fragen das Expertenwissen des Test Centers an. So hat das Team aus Essen gemeinsam mit einem Kunden im Bereich des Generatoren- und Kraftwerkbaus ein Verfahren entwickelt, um Stromdurchführungen zu erproben und das Ermüdungsverhalten zu analysieren. Mittels des entwickelten Prüfstandes konnte hier das gleiche Versagen wie im realen Betrieb erzeugt werden. Mit diesem Ergebnis konnten die Stromdurchführungen bereits auf dem Prüfstand optimiert werden, bevor sie für Jahrzehnte im Kraftwerk eingesetzt werden.
Die zu prüfenden Bauteile sollen auf dem Prüfstand das Gleiche erfahren wie auf der Teststrecke
Auf 2.500 Quadratmetern Laborfläche simulieren Jan Kurzok und sein Team Ermüdungserscheinungen, die in sehr vielen Anwendungen vorkommen, in denen es Schwingungen aber auch klimatische Anforderungen zu ertragen gilt. „Wir fahren in unseren Laboren hauptsächlich Betriebslastenfälle für Fahrwerkssysteme“, erklärt der promovierte Ingenieur. „Das ist nicht ganz das, was der normale Auto-Fahrer üblicherweise mit seinem Auto macht“, schmunzelt Jan Kurzok. „Nicht selten stehen Entwicklungsingenieure unserer Kunden während der laufenden Versuche bei uns und staunen, wie genau sich Verschleißbilder zeigen, die die Kunden aus dem Realbetrieb oder von der Teststrecke kennen. Nicht selten kommen auch wichtige Erkenntnisse dazu, die nichts mit der Betriebsfestigkeitsanalyse zu tun haben. Schließlich können unsere Kunden ihre Systeme und Komponenten normalerweise nicht isoliert von den zahlreichen anderen Bauteilen in extremen Fahrsituationen erleben.“
Jeder Prüfstand wird individuell konzipiert
Auf die zu prüfenden Teile - von Achsen und Stoßdämpfer bis hin zu Lkw-Fahrerhauslagern werden die wirkenden Kräfte und Momente auf dem Prüfstand durch Hydraulikzylinder und durch pneumatische oder zunehmend elektrische Aktuatoren simuliert. Berücksichtigt werden hier zudem auch Einflüsse wie Antriebsmomente sowie Brems- und Lenkkräfte sowie extreme Temperaturen. Verschiedene Sensoren vom Dehnungsmessstreifen bis zur Kraftmesszelle messen die Belastungen: Wege, Beschleunigungen und Kräfte. „Das können theoretisch beliebig viele Sensoren sein“, verrät Dr.-Ing. Michael Oeter, verantwortlich für Qualitätssicherung und Einsatzplanung des Test Centers. Dipl.-Ing. Roland Pötzsch, der das Führungstrio komplettiert und die Prüftechnik im Test Center verantwortet ergänzt, „Ein aufwändiger Achsprüfstand zum Beispiel hat über 70 Messstellen“. Das ist umso erstaunlicher, weil das Team keine originär genormten Prüfstände nutzt, sondern jeden Prüfstand individuell konzipiert.
Die größte Herausforderung liegt dabei darin, die korrekten Kräfte und Momente in die zu prüfenden Teile einzubringen. Weil sich die Zylinder vor allem bei mehraxialen Prüfständen gegenseitig beeinflussen, ist ein aufwändiger Prozess nötig. „Jeder Zylinder leitet einen Teil der Anregungsfunktionen ein und hat möglicherweise Koppelungen zu anderen Lasteinleitungen. Deshalb können wir nicht einfach das Signal von außen nehmen und einleiten“, erklärt Michael Oeter. Auf dieser Basis berechnen die Prüfstandsingenieure des Test Centers die korrekten, synthetischen Ansteuersignale, die in einem iterativen Prozess weiter verfeinert werden. Roland Pötzsch: „Wir starten bei komplexen Prüfständen damit, zunächst lediglich 20 Prozent der definierten Soll-Last in das System einzubringen und analysieren dann das Ergebnis. Schritt für Schritt erhöhen wir dann die Soll-Last für alle Zylinder, bis die am Prüfstand nachgefahrenen Signale und eventuell interne Antwortfunktionen möglichst genau den Sollvorgaben entsprechen“. Bei besonders komplexen Projekten, zum Beispiel bei der Überprüfung von Lkw-Fahrerhauslagern, kann diese Prüfstandsiteration bis zu drei Wochen dauern.
Mit Neugierde neue Grenzen austesten
Es sind diese technischen Aufgabenstellungen, die das Team des Test Centers immer wieder neu herausfordert. Genauso wie die stetige technologische Weiterentwicklung, wie Jan Kurzok betont: „Wir stellen uns immer die Frage: Was sind die Forderungen unserer Kunden morgen und übermorgen? Was sind die nächsten Aufgaben, die auf unsere Kunden warten, wie können wir sie unterstützen?“
Mit innovativen Systemen wie „Steer-by-wire“ oder „eSuspension“ prägen die Kunden des Test Centers ganz wesentlich das Automobil der Zukunft: Die weiterhin wachsende Bedeutung elektronischer und mechatronischer Komponenten und Systeme fordert dabei auch die Ingenieure in Essen jeden Tag von Neuem heraus. Roland Pötzsch: „Früher war ein Federbein ein Federbein: Da gab es einen Kolben in einem Zylinder, der durch ein bisschen Öl hin- und hergeschoben wurde. Mittlerweile sind zum Beispiel die Dämpferkennungen unserer Kunden je nach Wunsch des Fahrers und der Fahrsituation zum Teil sogar vorausschauend regelbar. Heute müssen wir also nicht mehr nur das Rad mit seinen Bewegungen simulieren, sondern den passenden Steuerstrom gleich mitliefern, damit der mechatronische Dämpfer auf dem Prüfstand genauso wie im Fahrzeug funktioniert.“
Prüfstandsarbeit wird immer wichtiger
Vor dem Hintergrund immer komplexer werdender Systeme und einer kontinuierlichen Verkürzung der Entwicklungszyklen in der Automobilindustrie, wird die Prüfstandsarbeit in enger Zusammenarbeit mit der rechnerischen Simulation immer wichtiger. „Wir werden zum Beispiel beauftragt, wenn ein Kunde feststellt, dass die Systemumgebung zu komplex ist, um das Produkt auf den eigenen Prüfständen zu erproben oder schlicht die momentane Kapazität fehlt“, erklärt Michael Oeter. „Wir punkten durch unsere enorme Flexibilität - sowohl räumlich als auch bei der Anzahl der Regelungs- und Messkanäle, die wir beherrschen, um mehr Systemumgebung abbilden können.“
Auch bei sehr teuren Schlechtwegerprobungen lohnt sich für Kunden die Zusammenarbeit mit dem Test Center von thyssenkrupp. Bevor Fahrzeuge auf die Teststrecke geschickt werden, können die Bauteile und Systeme auf dem Prüfstand bereits soweit vorgetestet werden, dass die Testergebnisse im Fahrzeug idealerweise nur noch bestätigt werden. Auf diese Weise können Kunden einen zeitlichen und finanziellen Vorteil im Labor herausfahren. „Tests auf der Teststrecke sind nicht nur teuer und zeitintensiv“, gibt Jan Kurzok zu bedenken. „Sie stellen auch eine extreme Belastung für die Testfahrer dar und die Fahrversuche sind abhängig von Wind und Wetter. Ich erinnere mich an einen Winter auf der Teststrecke in Papenburg. Wir haben uns mit unserem freizugebenden Fahrzeug immer Zeitfenster gesucht, die nach Nutzungen der Teststrecke durch andere Fahrzeuge lagen, damit die Strecken trockengefahren waren und wir dadurch ausreichende Querbeschleunigungen erfahren konnten. Das Ergebnis war nachher erreicht, es war aber sehr zeitaufwendig mit vielen Wartezeiten bei ungemütlichem Wetter“. Lachend fügt der Maschinenbau-Ingenieur an: „Da ist es im Labor gemütlicher!“
„Das Wichtigste sind unsere Mitarbeitenden“
Bei der fordernden täglichen Arbeit im Labor können die Prüfstandsingenieure in Essen auf absolutes High-End-Material bauen: Hochmoderne Regelungstechnik, extrem leistungsfähige Software, Hochleistungsrechner. „Wenn man so will, haben wir hier also eine Menge cooles Equipment“, freut sich Roland Pötzsch. „Das Wichtigste sind aber unsere Mitarbeitenden: In unserem Team steckt eine Menge Know-how. Sie sind unser Kapital.“ Für Jan Kurzok steht deshalb eines fest: „In allen Systemtests rund ums Fahrwerk gehören wir mit unserer Mannschaft zu den absoluten Top-Laboren.“